Beiträge

600 Tage

Seit genau 600 Tagen lebe ich nun vollwertig als Frau in der Gesellschaft. Meiner Wahrnehmung nach fällt kaum jemandem noch auf das nicht alles ist wie es scheint. Ich hab den Zähler für die Lebenstage damals eingerichtet um mir selbst zu zeigen was ich schon geschafft habe. Nun kann es kaum noch besser werden. Wie lang soll ich noch zählen? Wie lang muss ich mir noch vorhalten was ich geschafft habe und was noch vor mir liegt?

Make-up gegen Natürlichkeit

Von April an, seit ich als Jeanette in der Öffentlichkeit lebe habe ich sehr stark deckendes Make-up, sogenanntes Camouflage verwendet. Jeden Morgen nach dem Rasieren kam dieses leicht matschig wirkende Zeig mittels eines Schwamms auf mein Gesicht. Danach mit einem Stift ein paar Stellen aufgehellt und verwischt. Zuletzt kam Fixierpuder drauf und so hielt das im Zweifel ganze 24 Stunden.

Der Bart kam zwar nach ca. 12 Stunden wieder durch aber hatte genug Make-up auf den Haaren, dass es nicht so schlimm aufgefallen ist.

Das Abdecken des Bartes funktionierte hervorragend aber so ein starkes Make-up hat auch seine Nachteile:

Starkes Makeup lässt nichts durchscheinen, auch keine Natürlichkeit. Das Gesicht wirkte wie unter einer Maske, glatt gebügelt ohne Details. Ich glaube das dies einer der Hauptgründe war, warum ich oft längere Zeit ins Gesicht angestarrt wurde. Das Gesicht wirkte einfach nur unnatürlich, ohne jeden Makel.

Das Make-up übersteht leider auch keine Hitzewallungen und schon gar kein Bad. Ich erinnere mich da nur an ein Mittagessen beim Thai, nach dem ich meine Maske von Grund auf neu machen musste.

Außerdem ist das ganze Set aus Make-up, Abdeckstift und Fixierpuder ziemlich teuer.

Also habe ich mich im Januar entschieden es weg zu lassen. Selbst nach einer sehr gründlichen Rasur ist der Bartschatten zu erkennen aber dennoch bin ich der Meinung, ich werde weniger begafft. Ich fühle mich deutlich wohler und kann mich auch mal auf die Hand stützen ohne dabei zu riskieren einen teil meiner Maske auf dem Handrücken wieder zu finden. Auch komme ich so besser mit der Wärme zurecht.

Natürlich hat man bei so einer Umstellung erst einmal Angst vor den Reaktionen der Öffentlichkeit. Bei mir hat es aber erstaunlich gut funktioniert.

Gefühle, Liebe, ganz ohne Schmerz

Nachdem sich meine Freundin bereits Mitte Januar wieder von mir getrennt hatte, fand mich eine neue Liebe, ganz unvermittelt und es ist ganz wunderbar. Nach nun über 3 Monaten Beziehung und einem gerade laufenden Einzug Ihrerseits in meine Wohnung bin ich immer noch verliebt und liebe Sie jeden Tag mehr.

Es kann also doch Menschen geben, die mit einem Transgender klar kommen. Hatte schon gezweifelt. Zugegeben, was ich so höre sind die meisten TS allein oder springen von einem ONS zum anderen. Bei vielen bin ich aber der Meinung, sie sind selbst schuld an ihrer Misere. Wer sich nicht mehr raus traut und einmauert braucht nicht zu erwarten, dass der Traumpartner an die Tür klopft. Nur mit gesundem Selbstvertrauen und aufrechter Haltung kann man attraktiv wirken und hat somit eine Chance.

Nun etwas anderes:

Ist öffentliches Schreiben über sein eigenes Sexualleben ok? Ich denke schon. Außerdem soll dieses Blog betroffenen helfen, auch gerade bei den so interessanten Tabuthemen. Wer so etwas nicht lesen will sollte hier stoppen.

Sexualleben als Transgender mit einem Mann läuft immer nur auf das A-Ding raus. Aber dazu kann ich nicht viel sagen, da ich wie gesagt mit einer Frau zusammen bin.
Wie läuft das Sexualleben als Mann zu Frau Transsexuelle, wenn die OP noch aussteht? Dass muss jede für sich selbst wissen was sie machen möchte. Ich habe entschieden, dass der Penis nunmal der Bereich ist, an dem ich das meiste empfinde. Und auch nach der OP sind die Bestandteile auch nur neu platziert. Eine reine optische Anpassung, keine funktionale. Daher benutze ich das ungeliebte Ding weiter. Auch wenn der Testosteronblocker und die Östrogene die Benutzbarkeit deutlich beeinträchtigen, kann es weiterhin Spass machen. Aber etwas komisch fühlt es sich schon an, hat doch die Hormonänderung auch das Empfinden im Kopf irgendwie umgepolt. Ich empfinde bekannte Gefühle, seh ich aber nach unten passt das ganze nicht mehr zusammen. Zu fühlen, man ist jetzt soweit und dann zu sehen das da unten alles am schlafen ist, ist mehr als nur einmal sehr frustrierend. Ich hab aber für mich gelernt, dass sich unter Druck zu setzen absolut kontraproduktiv ist. Spontanität ist trumpf und plötzlich tut sich auch wieder was. Ich bin mir aber sicher, dass in absehbarer Zeit dort gar nichts mehr funktionieren wird. Davor fürchte ich mich sehr, freue mich aber auf die OP, die all das (hoffentlich) gerade rücken wird

Einjähriges

Heute vor genau einem Jahr, am 6. April 2009 habe ich mich der Öffentlichkeit gezeigt und hatte im Büro ein Meeting mit allen Mitarbeitern. Ich habe mich als Jeanette vorgestellt und lebe seit dem jeden Tag voll und ganz als die Jeanette, die schon immer in mir geschlummert hat.

Ich bin total begeistert darüber, wie gut alles geklappt hat. Im Büro, im Alltag und im Privatleben.

Mein Leben ist so viel lebenswerter geworden, dass ich es immer noch nicht fassen kann.

Ich bin glücklich in dem was ich bin und ich bin glücklich in allem was ich tue. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe und ich bin stolz so tolle Freunde um mich zu haben. Freunde, die mich jeden Tag unterstützten und aufbauten wenn es mir nicht so gut ging und mir in den Hinter traten, wenn ich aufgeben wollte.

Diese ganze Umstellung ist alles andere als einfach und ich wünsche jeder Betroffenen Freunde an die Seite, um diesen Weg nicht alleine gehen zu müssen.

2010 – Ein Rückblick

Zwischen Weihnachten und Neujahr 2009 hab ich mich entschieden meinem inneren Empfinden nicht mehr im weg zu stehen. Anfang Januar war ich zum ersten mal bei einer Selbsthilfegruppe, wenige Tage später zum ersten mal bei meinem jetzigen Therapeuten.

Über Monate hinweg bis Anfang April weihte ich alle Personen ein, die mir wichtig waren oder für meine berufliche Situation nötig waren. Am 6. April dann das große Outing vor allen Mitarbeitern im Büro. Seit diesem Tag habe ich meiner bis dahin getragenen männlichen Maske abgeschworen. Nur zehn Tage später gab’s die ersten Hormone.

Die ersten Schritte im Alltag waren sehr anstrengend da ich mich permanent beobachtet und begafft fühlte. Die Kollegen akzeptieren meine Entscheidung und lassen mich keinerlei Abneigung spüren. Mein alter Vorname fällt nie mehr.

Mit der Zeit fühle ich mich immer wohler, sehe immer öfter die Frau im Spiegel, die ich in mir spüre. Die Öffentlichkeit gafft nicht mehr. Den meisten Personen fällt es immer seltener auf. Mit Kleidung und Stil habe ich mich den Massen angepasst, ohne mich dabei selbst zu verlieren.

Die Medikamente wirken und da sie mir ein wenig das seelische Rüstzeug nehmen, fühle ich mich deutlich weicher und emotionaler. Depressionen kommen und gehen, aber ich verliere mein Ziel nicht mehr aus den Augen. Zu meinen früheren sehr kleinen Freundeskreis hat sich ein neuer, sehr Großer gesellt. Ich bin sehr gesellig geworden und verbringe meine Freizeit viel unter Menschen. Es ist sehr erstaunlich das jetzt, da ich zu mir selbst stehe, plötzlich auch ganz viele Menschen zu mir stehen. Ich werde akzeptiert und sogar geliebt.

Meine alte Leidenschaft für Computer und Technik schwächelt, die Sammelleidenschaft ist vollends verschwunden. Die griesgrämige Maske, unfähig mit Menschen zu interagieren ist zerbrochen.

Der langwierige Weg von einem Gutachter zum anderen, dann zum Gericht und vorher noch zur Endokrinologin wird hoffentlich auch in kürze Früchte tragen, in Form eines neuen, offiziellen Personalausweis mit neuen Vornamen.

Mein Ziel, als Frau zu leben, als Frau wahrgenommen zu werden und ohne Kompromisse Leben zu können hatte ich für in 2-3 Jahren geplant. Doch es ist schon jetzt, nach nur 9 Monaten soweit und ich bin mehr als Glücklich und sogar ein wenig Stolz auf mich.

Dann sehen wir mal was 2011 so bringt.

Geschlechter und die Frage auf welches man steht

Eine der typischen Fragen die ich neben „wirst du dich auch operieren lassen?“ gestellt bekomme ist die, auf welches Geschlecht ich denn nun stehen würde.
Diese Frage muss jeder Transgender für sich selbst klären.

Mir ist bei meiner eigenen Entscheidungsfindung etwas aufgefallen. Ich dachte immer ich würde auf Frauen stehen und könnte mit Männern sicher nichts anfangen. Inzwischen fällt mir aber immer mehr auf, das ich den Frauentyp, auf den ich früher abgefahren bin, heute immer noch gerne ansehe, aber mit ganz anderen Beweggründen. Damals habe ich sie bewundert, weil ich auch so sein wollte wie sie, es aber nicht konnte. Aus dieser Bewunderung ist manchmal etwas geworden, was ich damals für Liebe gehalten habe.

Heute sind diese Frauen Ideen- und Inspirationsquelle für mein eigenes Leben. Insbesondere wenn es um Kleidung und Styling für mich selbst geht schaue ich nur denen etwas ab, die ich selbst bewundere.

Aber auf welches Geschlecht ich irgendwann stehen werde, vermag ich heute noch nicht abschließend zu sagen. Meine Gefühle dahingehend sind durch die zweite Pubertät noch total im Fluss.