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September 2010

Ich bin zum ersten mal überhaupt auf der Strasse im hellen Tageslicht nach meiner Telefonnummer gefragt worden.

Ich fühle mich immer mehr im Alltag angekommen. Die Öffentlichkeit reagiert gemischt, je nach dem wie meine eigene Ausstrahlung gerade wirkt. Gut gelaunt bekomm ich bewundernde Blicke. Schlecht gelaunt ergibt abwertende Blicke.

Brustwachstum kommt schubweise und gibt Selbstvertrauen.

Sprachtraining für eine weiblichere Stimmlage macht langsam Fortschritte.

Passant

Vorgestern stand ich etwas verloren neben einer Baustelle und telefonierte, als mich ein Passant unvermittelt fragte, ob mein Sternzeichen Wassermann sei. Ich war etwas verdutzt, bestätigte aber, da er recht hatte. Er meinte Wassermänner haben immer gute Waden. Ich trug einen knapp knielangen Rock und Stiefel, also war genug von meinen Waden zu sehen.

Merkwürdige Art und Weise zu sagen das ich schöne Beine habe 🙂

Da ich noch am telefonieren war, verdrückte sich der Passant recht schnell und ließ mich etwas verwirrt zurück.

Blicke

Ein sehr großes Thema für jede Transsexuelle ist es, in der Öffentlichkeit aufzutreten, und wie die Reaktionen darauf wohl sind. Es ist nunmal leider so, das wir uns nicht durch das definieren was wir sind, sondern als was wir wahrgenommen werden.

Das Leben als Transsexuelle in der Öffentlichkeit muss man zumindest am Anfang wie in einem perfekten Überwachungsstaat vorstellen. Um so schlechter das Passing, also das Einpassen in die weibliche Rolle, am Anfang ist, um so mehr Personen um dich herum werden dich begaffen. Die größte Angst von Ungeouteten ist wohl die, im Rampenlicht zu stehen. Was das angeht stellte ich vor 105 Tagen keine Ausnahme dar.

Die erste Woche ist wohl die größte Hürde und die schwerste Zeit. Wer keinen Styleberater sein eigen nennen kann, muss sich eben selbst jeden morgen überlegen was Frau anziehen soll. Dabei empfiehlt es sich, Styleguids, wie z.B. von Otto.de zu beachten und sich strikt daran halten. Wenn Frau schon auffällt, dann doch wohl so wenig wie möglich. Ich halte mich an den Guide schon seit dem ersten Tag ohne Ausnahme und wenn man auch danach einkauft ohne sich von ach so tollen Kleiderstücken verlocken zu lässt, dann wird das Passing mit der Zeit immer besser.

Je nach dem welche Defizite der Körper so mit bringt, ich z.B. bin mit 1,89m ziemlich groß, dann fällt man von vornherein mehr oder weniger auf. Da ich fast immer alle umstehenden Frauen um knapp einen Kopf überrage, falle ich deutlich auf und was auffällt wird nunmal genauer begutachtet.

Und jetzt kommt das beste: Wenn man sich eingewöhnt hat, selbstsicher und nicht gekünstelt man selbst ist, dann verändern sich auch die Blicke der Passanten. Einerseits wird man gar nicht mehr so arg angestarrt. Vielmehr wird man kurz gemustert und für gewöhnlich war es das dann auch schon. Wenn das Passing gut ist, wird man endlich als Transsexuelle wahrgenommen, und nicht mehr als skurrilen Mann in Frauenkleidern. Natürlich kommt es immer mal wieder vor, das jemand abschätzig oder gar angewidert schaut, aber damit muss man einfach klar kommen. Mir passiert es allerdings immer häufiger, das ich nicht angeschaut oder angegafft werde, sondern sogar abgecheckt werde. Damit ist der Blick von zumeist Männern gemeint, mit dem sie prüfen ob der Gegenüber eine gute Partie ist. Wenn es mit diesen Blicken anfängt hat man es geschafft. Es können sich noch so viele Menschen ohne Anstand dich den Tag über angaffen, wenn dich einmal ein Mann abcheckt ist der Tag gerettet. Viel mehr Lob für dein eigenes Passing wirst du so bald nicht bekommen.

Nachtbus 3:47 Uhr

Im Nachtbus auf dem Heimweg aus der Rockfabrik wurde meine Begleitung und ich zuerst getrennt. Er stieg hinten ein, ich vorne.

Ich konnte allerdings sehen wie meine Begleitung mit andern Passagieren ins Gespräch kam. Bei der nächsten Haltestelle wechselte ich nach hinten, der Bus war einfach zu voll zum innen durch gehen.

Ich kam also durch dir hintere Tür in den Bus, sah meine Begleitung wieder und wurde von selbiger begrüßt. Der Andere Passagier, ich nenne ihn einfach mal Paul, reagierte mit „wow, jetzt bin ich aber verwirrt“. Meine Begleitung fragte direkt „wieso, weil noch mehr schwarz Gekleidete?“. Paul halb lachend „ja, das auch aber das meinte ich jetzt nicht“. Ich nur „was denn dann?“. Er zeigte mit dem Finger auf mich und machte eine Bewegung von oben nach unten und antwortete „da deswegen, wusste nicht dass in der Rockfabrik auch solche Parties gefeiert werden“. Wir etwas verdutzt „was für eine Party denn? Da läuft Rock, Gothic, Elektro und Heavy Metal“. Er dachte wohl eher, das die Rockfabrik auch sowas wie Gay-Parties geben würde. Wir machten dann aber doch glaubhaft, das wir wegen der Musik dort hin sind und ich als Frau überall hin gehe, nicht explizit zu dieser Art von Parties, die ich , ganz nebenbei, meide. „wow, finde ich echt Klasse“ war seine Reaktion und wir tratschen noch ein wenig über den Abend und lästerten über übernächtigte Mitreisende.

Das war bis dato die positivste aktive Reaktion in der Öffentlichkeit. Passanten gucken, gaffen und tuscheln aber das war erst die zweite Reaktion bei der ich aktiv mich erklären konnte und die Person so positiv eingestellt war, das es mich nicht genervt hat mein Ich erklären zu müssen.

Bis auf eine wirklich markant negative Reaktion ganz am Anfang habe ich bisher fast nur neutrale oder positive Reaktionen erfahren. Manche Jungs unterhalten sich dann bewusst laut und hetzen gegen Schwule, aber bei so wenig Verstand kann auch ich nur noch lachen.

Tägliches

Ich wurde heute zum ersten mal in aller Öffentlichkeit gefragt ob ich Mann oder Frau sei.

Ein Mann sah dass ich in meiner Handtasche etwas suchte und nutzte die Gelegenheit mich zu fragen ob ich ne Zigarette für ihn hätte. Ich sah auf und antwortete ich habe keine. Darauf hin machte er ein ein verdutztes Gesicht und musterte mich genauer und fragte mich dann „Sagen Sie mal, sind Sie Mann oder Frau?“. Darauf reagierte ich nur mit einer mysteriösen Handbewegung, worauf hin er das Weite suchte.

Das mich jemand anspricht ist mal was neues aber alles in Allem find ich es gut, dass die Grenzen immer mehr Verschwimmen. Er konnte mich das Fragen weil wir quasi schon in einem Gespräch waren. Jeder andere Passant würde das so ohne weiteres nicht los werden.

Reaktionen

Nach gerade einmal 5 Tagen als Frau im Alltag und am ersten Tag, an dem ich Hormone zu mir nehme, musste es passieren.

Auf dem Heimweg von der Arbeit, müde und erschöpft traf ich auf zwei Mädchen, Durchschnittsalter vielleicht 17, die, als sie mich sahen, gleich mit öffentlichem Denunzieren anfangen mussten. Lautstark brüllten sie durch die Haltestelle und später durch die Bahn so etwas wie „ihh, das ist ja ein Mann“ oder „is‘ ja widerlich“ und ähnliches.

Als wenn ich am Anfang nicht schon genug auffallen würde, aber durch diese Aktion hatte ich natürlich wirklich alle Augen auf mir. Ich biss die Zähne zusammen, ließ mir nichts anmerken, so als sei ich nicht gemeint und durchstand diese 25 Minuten von Haltestelle zur Haltestelle, auch wenn mir die zwei danach immer noch folgten.

Ich am liebsten gestorben. Ich wollte mich verstecken und nur noch heulen. Aber es ging vorbei.

Ich schob die ganze Aktion darauf, das meine neue Haarfarbe etwas zu auffällig war und ließ mir gleich einen neuen Termin zum dunkler färben geben. Es war eine Situation, wie sie jederzeit wieder auftreten kann und mit der ich umzugehen lernen musste. Ich hab es überstanden und am Tag darauf fühlte ich mich aus der Situation gestärkt hervorgehen.