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2010 – Ein Rückblick

Zwischen Weihnachten und Neujahr 2009 hab ich mich entschieden meinem inneren Empfinden nicht mehr im weg zu stehen. Anfang Januar war ich zum ersten mal bei einer Selbsthilfegruppe, wenige Tage später zum ersten mal bei meinem jetzigen Therapeuten.

Über Monate hinweg bis Anfang April weihte ich alle Personen ein, die mir wichtig waren oder für meine berufliche Situation nötig waren. Am 6. April dann das große Outing vor allen Mitarbeitern im Büro. Seit diesem Tag habe ich meiner bis dahin getragenen männlichen Maske abgeschworen. Nur zehn Tage später gab’s die ersten Hormone.

Die ersten Schritte im Alltag waren sehr anstrengend da ich mich permanent beobachtet und begafft fühlte. Die Kollegen akzeptieren meine Entscheidung und lassen mich keinerlei Abneigung spüren. Mein alter Vorname fällt nie mehr.

Mit der Zeit fühle ich mich immer wohler, sehe immer öfter die Frau im Spiegel, die ich in mir spüre. Die Öffentlichkeit gafft nicht mehr. Den meisten Personen fällt es immer seltener auf. Mit Kleidung und Stil habe ich mich den Massen angepasst, ohne mich dabei selbst zu verlieren.

Die Medikamente wirken und da sie mir ein wenig das seelische Rüstzeug nehmen, fühle ich mich deutlich weicher und emotionaler. Depressionen kommen und gehen, aber ich verliere mein Ziel nicht mehr aus den Augen. Zu meinen früheren sehr kleinen Freundeskreis hat sich ein neuer, sehr Großer gesellt. Ich bin sehr gesellig geworden und verbringe meine Freizeit viel unter Menschen. Es ist sehr erstaunlich das jetzt, da ich zu mir selbst stehe, plötzlich auch ganz viele Menschen zu mir stehen. Ich werde akzeptiert und sogar geliebt.

Meine alte Leidenschaft für Computer und Technik schwächelt, die Sammelleidenschaft ist vollends verschwunden. Die griesgrämige Maske, unfähig mit Menschen zu interagieren ist zerbrochen.

Der langwierige Weg von einem Gutachter zum anderen, dann zum Gericht und vorher noch zur Endokrinologin wird hoffentlich auch in kürze Früchte tragen, in Form eines neuen, offiziellen Personalausweis mit neuen Vornamen.

Mein Ziel, als Frau zu leben, als Frau wahrgenommen zu werden und ohne Kompromisse Leben zu können hatte ich für in 2-3 Jahren geplant. Doch es ist schon jetzt, nach nur 9 Monaten soweit und ich bin mehr als Glücklich und sogar ein wenig Stolz auf mich.

Dann sehen wir mal was 2011 so bringt.

September 2010

Ich bin zum ersten mal überhaupt auf der Strasse im hellen Tageslicht nach meiner Telefonnummer gefragt worden.

Ich fühle mich immer mehr im Alltag angekommen. Die Öffentlichkeit reagiert gemischt, je nach dem wie meine eigene Ausstrahlung gerade wirkt. Gut gelaunt bekomm ich bewundernde Blicke. Schlecht gelaunt ergibt abwertende Blicke.

Brustwachstum kommt schubweise und gibt Selbstvertrauen.

Sprachtraining für eine weiblichere Stimmlage macht langsam Fortschritte.

Blicke

Ein sehr großes Thema für jede Transsexuelle ist es, in der Öffentlichkeit aufzutreten, und wie die Reaktionen darauf wohl sind. Es ist nunmal leider so, das wir uns nicht durch das definieren was wir sind, sondern als was wir wahrgenommen werden.

Das Leben als Transsexuelle in der Öffentlichkeit muss man zumindest am Anfang wie in einem perfekten Überwachungsstaat vorstellen. Um so schlechter das Passing, also das Einpassen in die weibliche Rolle, am Anfang ist, um so mehr Personen um dich herum werden dich begaffen. Die größte Angst von Ungeouteten ist wohl die, im Rampenlicht zu stehen. Was das angeht stellte ich vor 105 Tagen keine Ausnahme dar.

Die erste Woche ist wohl die größte Hürde und die schwerste Zeit. Wer keinen Styleberater sein eigen nennen kann, muss sich eben selbst jeden morgen überlegen was Frau anziehen soll. Dabei empfiehlt es sich, Styleguids, wie z.B. von Otto.de zu beachten und sich strikt daran halten. Wenn Frau schon auffällt, dann doch wohl so wenig wie möglich. Ich halte mich an den Guide schon seit dem ersten Tag ohne Ausnahme und wenn man auch danach einkauft ohne sich von ach so tollen Kleiderstücken verlocken zu lässt, dann wird das Passing mit der Zeit immer besser.

Je nach dem welche Defizite der Körper so mit bringt, ich z.B. bin mit 1,89m ziemlich groß, dann fällt man von vornherein mehr oder weniger auf. Da ich fast immer alle umstehenden Frauen um knapp einen Kopf überrage, falle ich deutlich auf und was auffällt wird nunmal genauer begutachtet.

Und jetzt kommt das beste: Wenn man sich eingewöhnt hat, selbstsicher und nicht gekünstelt man selbst ist, dann verändern sich auch die Blicke der Passanten. Einerseits wird man gar nicht mehr so arg angestarrt. Vielmehr wird man kurz gemustert und für gewöhnlich war es das dann auch schon. Wenn das Passing gut ist, wird man endlich als Transsexuelle wahrgenommen, und nicht mehr als skurrilen Mann in Frauenkleidern. Natürlich kommt es immer mal wieder vor, das jemand abschätzig oder gar angewidert schaut, aber damit muss man einfach klar kommen. Mir passiert es allerdings immer häufiger, das ich nicht angeschaut oder angegafft werde, sondern sogar abgecheckt werde. Damit ist der Blick von zumeist Männern gemeint, mit dem sie prüfen ob der Gegenüber eine gute Partie ist. Wenn es mit diesen Blicken anfängt hat man es geschafft. Es können sich noch so viele Menschen ohne Anstand dich den Tag über angaffen, wenn dich einmal ein Mann abcheckt ist der Tag gerettet. Viel mehr Lob für dein eigenes Passing wirst du so bald nicht bekommen.

Transtalk Stammtisch Karlsruhe

Am gestrigen Freitag, nach einem ausgiebigen Friseurtermin, bin ich relativ spontan mit Marlene zum Transtalk Stammtisch nach Karlsruhe gefahren, das regelmässig im Hotel Santos statt findet.

Recht schnell wurde mir klar das dieser Stammtisch nichts mit dem gemein hat, den ihn jeden Monat in Stuttgart besuche. In Stuttgart tauchen zu Spitzenzeiten 18 Gäste auf. Hier waren es weit über 50 aus der ganzen Region. Transsexuelle waren weniger dabei, dafür Transvestiten und Crossdresser die teilweise eine eigene Show um sich selbst machten (Gruß an Gigi). Es ist schön zu sehen das sich nicht alle Menschen so ernst nehmen.

Nach anfänglichem Unwohlsein unter so vielen neuen Gesichtern haben sich doch recht schnell einige gute Gespräche entwickelt. Ich lernte zum Beispiel Roxanne und Jessi kennen, die ich bisher nur aus dem Transtreff.de Forum kannte.
Die meiste Zeit verbrachte ich im Biergarten, wo sinkende Temperaturen den Aufenthalt angenehm machten. Leider muss diese Location um Mitternacht geräumt werden. In der Lobby und der darüber gelegenen Lounge konnte man sich wegen der lauten Musik leider nur schwer unterhalten.

Aber das Thema Lautstärke und die selten auftauchende Bedienung war plötzlich uninteressant, als Nadia auf unseren Tisch zu kam. Wir hatten aus unterschiedlichen Gründen seit Mitte Mai Funkstille gehalten und plötzlich stand sie vor mir. Der Abend war so schon ziemlich klasse und lustig verlaufen aber die Unterhaltung die jetzt folgte setzte dem Tag die Krone auf.

Nächsten Monat hat der Transtalk wieder ein Motto, nämlich „Barbie-que“. Grillfeier in Pink. Ich werde versuchen wieder dabei zu sein, aber ob ich was pinkes finde, wir werden sehen.

Nachtbus 3:47 Uhr

Im Nachtbus auf dem Heimweg aus der Rockfabrik wurde meine Begleitung und ich zuerst getrennt. Er stieg hinten ein, ich vorne.

Ich konnte allerdings sehen wie meine Begleitung mit andern Passagieren ins Gespräch kam. Bei der nächsten Haltestelle wechselte ich nach hinten, der Bus war einfach zu voll zum innen durch gehen.

Ich kam also durch dir hintere Tür in den Bus, sah meine Begleitung wieder und wurde von selbiger begrüßt. Der Andere Passagier, ich nenne ihn einfach mal Paul, reagierte mit „wow, jetzt bin ich aber verwirrt“. Meine Begleitung fragte direkt „wieso, weil noch mehr schwarz Gekleidete?“. Paul halb lachend „ja, das auch aber das meinte ich jetzt nicht“. Ich nur „was denn dann?“. Er zeigte mit dem Finger auf mich und machte eine Bewegung von oben nach unten und antwortete „da deswegen, wusste nicht dass in der Rockfabrik auch solche Parties gefeiert werden“. Wir etwas verdutzt „was für eine Party denn? Da läuft Rock, Gothic, Elektro und Heavy Metal“. Er dachte wohl eher, das die Rockfabrik auch sowas wie Gay-Parties geben würde. Wir machten dann aber doch glaubhaft, das wir wegen der Musik dort hin sind und ich als Frau überall hin gehe, nicht explizit zu dieser Art von Parties, die ich , ganz nebenbei, meide. „wow, finde ich echt Klasse“ war seine Reaktion und wir tratschen noch ein wenig über den Abend und lästerten über übernächtigte Mitreisende.

Das war bis dato die positivste aktive Reaktion in der Öffentlichkeit. Passanten gucken, gaffen und tuscheln aber das war erst die zweite Reaktion bei der ich aktiv mich erklären konnte und die Person so positiv eingestellt war, das es mich nicht genervt hat mein Ich erklären zu müssen.

Bis auf eine wirklich markant negative Reaktion ganz am Anfang habe ich bisher fast nur neutrale oder positive Reaktionen erfahren. Manche Jungs unterhalten sich dann bewusst laut und hetzen gegen Schwule, aber bei so wenig Verstand kann auch ich nur noch lachen.

Tägliches

Ich wurde heute zum ersten mal in aller Öffentlichkeit gefragt ob ich Mann oder Frau sei.

Ein Mann sah dass ich in meiner Handtasche etwas suchte und nutzte die Gelegenheit mich zu fragen ob ich ne Zigarette für ihn hätte. Ich sah auf und antwortete ich habe keine. Darauf hin machte er ein ein verdutztes Gesicht und musterte mich genauer und fragte mich dann „Sagen Sie mal, sind Sie Mann oder Frau?“. Darauf reagierte ich nur mit einer mysteriösen Handbewegung, worauf hin er das Weite suchte.

Das mich jemand anspricht ist mal was neues aber alles in Allem find ich es gut, dass die Grenzen immer mehr Verschwimmen. Er konnte mich das Fragen weil wir quasi schon in einem Gespräch waren. Jeder andere Passant würde das so ohne weiteres nicht los werden.